H e s s e n t a g 2 0 0 9
T a g F ü n f : D i e n s t a g , 9 . J u n i 2 0 0 9
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Büchertisch Petra Gerster
Liebe Freunde, liebe Gäste; guten Morgen, Mutter,
es ist Halbzeit. Mit dem gestrigen Dienstag haben wir fünf von zehn Tagen bewältigt. Ein erstes Fazit wird gezogen. Nein, Quatsch, das ist einer dieser typischen, hohlen Journalistensätze. Fazits werden ja eigentlich täglich von allen möglichen Politikern, Newslettern, Kaspern und Unkaspern gezogen.
So auch von mir.
Erst zur Halbzeit des Hessentages fiel mir auf, dass die Casa Loca mit ihren teuflischen Produkten am Fuße der Evangelischen Kirche positioniert ist. Das ist wahrscheinlich aus Sicherheitsgründen so. Vampire, duellierende Highlander und Chipotle-Soßen sind auf geweihtem Boden machtlos.
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Vade retro
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Und ein Tässchen Notfallweihwasser zum Gurgeln könnte man sich sicher bei den Katholiken um die Ecke ausborgen.
Am Dienstag betreute ich den Büchertisch der Buchhandlung Schell für die Lesung von Petra Gerster in der Lichterkirche; und das stärkste am Nachmittag war der Zyklon, der über Langenselbold herniederging.
Petra Gerster, eine fernsehbekannte Journalistin, die damit prahlt, dass sie fünfzig ist, lockte über 400 Personen an. Wow. Ich hatte 40 Bücher dabei. Frau Gerster war not amused. Naja, wenigstens muss ich nichts mehr remittieren.
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Besucherstrom für Petra Gerster
| | Reizstrom für Bücherkistenschlepprheuma
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Die hessentagstypische Zirkuszelt-Atmosphäre endete allerdings am Kirchenportal: Gestattet waren weder Stehplatz-Überfüllung noch beliebiges Ein- und Austreten; zwei Türsteherpfarrer wehrten ziemlich eisern und nachdrücklich alle Diskutanten ab, die nach Beginn noch auf ihren offenen Zutritt beharren wollten. Einer bespritzte sogar die Kirchentür mit einer 333.000er Chili-Ingwer-Salsa, aber die ist sofort mit schwefligem Zischen verdampft, bevor sie das Bild der grinsenden Fratze von Dr. Jörg Hohmann hinterließ.
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Pfarrer Till Martin Wisseler (l.), eine meiner allerhärtesten Krawatten (r.) | | Drei Eichentüren mit Warnschild |
Die strenge Reglementierung der geschlossenen Veranstaltung sagt Ihnen zwei Dinge. Erstens: Wenn Sie Hera Lind oder Renan Demirkan sehen wollen, dann seien Sie pünktlich. Rechnen Sie ab 14.30 Uhr mit regem Einlass. Zweitens: Wenn Sie zu den glücklichen paar Hunderten gehören, die einen Sitzplatz bekommen haben, dann seien Sie einer ungestörten und ruhigen Lesung versichert.
Sonst könne man ja gleich ein Heiliges Drehkreuz einbauen, spaße ich. Von den Pfarrern lacht aber keiner.
Allerdings traf die strenge Reglementierung auch mich selbst. Mein Büchertisch war draußen aufgebaut, so dass auch ich keinen Zutritt zur Lesung hatte. Ich durfte noch schnell ein Foto von der Lichterkirche machen, und dann trat man mich freundlich nach draußen.
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Live und vor Ort natürlich noch viel beeindruckender
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Aber da ich von einer circa 50jährigen Frau noch weit entfernt bin, zählte ich ohnehin nicht zur Zielgruppe, und draußen gab es frische Luft und auch viel mehr zu sehen. So besuchten mich z.B. die Lokalreporterinstitution Maryanto Fischer und die Jugendpflegerin Corinne Stuttmann.
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Das sind doch mal Sonnengläser!
| | Das ist doch mal ein Fahrrad!
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Fischer ist weit über die Grenzen Langenselbolds hinaus tätig, aber das kulturelle Pressebild Langenselbolds wäre ohne seine Tätigkeit noch auf dem Stand der 80er Jahre. Und Frau Stuttmann ist als Angestellte der Stadtverwaltung tagsüber und körperhaft im Elbo-Kinderland und sonstwo unterwegs, aber abends führt sie ein Doppelleben als Sängerin und Diva, die sich gelegentlich an meinem Körper reibt.
(So gesehen bin ich wenigstens zeitweise von einer circa 50jährigen Frau dann doch nicht weit entfernt.)
Außerdem treffe ich Arne Schellhoß, aber den trifft man ja dauernd und überall. Also so ähnlich wie Soraya Rein, nur ohne Arbeit. Ich sehe es vor mir, wie er schon zwei Monate vor dem Hessentag quer über die zehn Tage in seinen Terminkalender geschrieben hat: "Spazierengehen".
Unterdessen prahlt Corinne Stuttmann mit ihrem Backstage-Pass für das abendliche Helen-Schneider-Konzert. Einer der Türsteherpfarrer, Sven Kießling, stürmt sofort herbei und scannt den Pass mit seinem Handy. Aber der Pass ist echt, und Pfarrer Kießling lässt sein geweihtes Tränengas stecken.
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Ich bin ein Mann der Worte, aber ein lausiger Fotograf | | Pfarrer Orwell überprüft Code 1984
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Das kleine in seiner Hand ist ein Ninja-Vanille-Eis
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Damit Sie einen Eindruck von der schönen Atmosphäre bekommen - Moment, ich erfahre gerade von der Regie, dass man heute "Atmo" sagt - also, damit Sie mitkriegen, wie schön es hier ist, mache ich noch ein Foto vom Kirchgarten. Kirchgarten? Heißt der überhaupt so? Das klingt ja wie ein Tschechow-Stück mit Rechtschreibfehler. Nein, für die Zeit des Hessentages ist und bleibt das gesamte Areal mit Wiese und Gotteshaus die Lichterkirche.
Ein Gast fragte mich auch, wieso das Lichterkirche heiße. Ich hielt eine Diskussion über christliche Lichtermetaphorik für unangebracht und sagte einfach, in der Kirche seien auch "so Lichter drin". (Und genau das wollte der Gast auch hören!)
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Grüne Besinnungs-, Kaffee- und Kuchen-Insel im Herzen des Hessentages
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Aber die Lesung endete, Petra Gerster nahm am Signiertisch Platz, und die Zuschauer pulkten und traubten sich um uns herum und wedelten mit Geldscheinen und Filzstiften. Das war zwar fürs Publikum schlimm, aber natürlich für die Kirche als insgesamter Erfolg zu werten. Ich war rasch ausverkauft; das war zwar für Petra Gerster schlimm, aber für mich als insgesamter Erfog zu werten.
| | | Ob davon nicht irgendwann der Arm wehtue?
| | Nö, so Frau Gerster.
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Und dann erwischte ich sogar Frau Binzel, wie sie ebenfalls das Buch Reifeprüfung erstand. Wahrscheinlich will sie es ihrer Mutter schenken.
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Wenigstens das gebundene.
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Ich weise für den Mittwoch darauf hin, dass der Kabarettist Florian Schroeder nicht etwa verstorben, sondern ein hervorragender und noch lebender Parodist mit beißender Beobachtungsgabe und politischer Kompetenz ist, der am Mittwoch Abend um 20.00 Uhr in der Kirche auftritt. Es gibt noch Karten!
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Lassen Sie sich durch das pietistische Farbschema nicht verunsichern.
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So.
Nach diesem Trubel freue ich mich schon auf die beiden Folgeveranstaltungen am Mittwoch (Hera Lind) und am Donnerstag (Renan Demirkan). Der Kelch des Pater Anselmo wird aber an mir vorübergehen. Schade eigentlich.
Und jetzt habe ich mir erst mal einen Spaziergang verdient.
Heftigster Wolkenbruch des ganzen Hessentages
Dass ich schon wieder auf Dieter Kögel treffe, habe ich allerdings nicht verdient. Aber wer hat das schon, außer der Casa Loca vielleicht.
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Das muss man auf sich wirklen lassen
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Der hätte sich gut gemacht auf der Anwärtervereidigung am Sonntag.
Im Steinweg mache ich noch zwei Fotos von zwei Fachfrauen, eine von ihnen Sabine Fuchs von der gleichnamigen Metzgerei, bevor am Himmel die Hölle losbricht.
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Zwei Fachfrauen: Hier für grobe Mettwurst...
| | ...und hier für grobe Copyright-Verstöße
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Der aufkommende Wind wird gegen Nachmittag immer stärker, aber da lassen wir uns noch vom Sonnenschein in Sicherheit wiegen. Aber ich beobachte die aufkommende, gruselige Wolkenfront mit wachsendem Unbehagen. Gegen 18.00 Uhr erreicht die Buchhandlung ein Anruf von einem Informanten, der sich zu dieser Sekunde direkt in diesem Unwetter befand, und der sehen konnte, wie es vom Frankfurter Raum aus Richtung Langenselbold zog. Er sprach von der Hölle und hörte sich an wie Marlon Brando in Apocalypse now.
Wir räumten also in Windeseile alle Erdbeeren, Schnäppchen, Teppiche und potentielle Kunden in den Laden und warnten so viele Aussteller, wie wir konnten, als auch schon die erste Drehsäule mit Schmuck vom Wind erfasst wurde.
Binnen weniger Sekunden haben alle Stände dichtgemacht, und wir hatten den Laden voll. Ich habe schnell ein Schild gedruckt mit der Aufschrift "literarischer Regenschutzraum, Eintritt 8,95 €, wird beim Kauf eines Taschenbuchs selbstverständlich verrechnet."
Hier eine kleine Bildchronologie der Ereignisse:
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15.31 Uhr
| | 15.59 Uhr
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18:06 Uhr
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18:11 Uhr
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18:11 Uhr und 24 Sekunden: als wär nix gewesen
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Frau Gerster und der Wetterschock bescherten und also heute wenigstens gute Umsätze.
Ich hoffe nur, Elbo war in Sicherheit und hat sich nicht vollgesogen.
Und ich hoffe, der Couscous-Stand ist nicht aufgequollen.
Abendspaziergang
Abends führt mein Gang dann wieder an der Lichterkirche vorbei, wo Helen Schneider ihr Konzert hat. Es war gerade Pause, so dass ich ein paar Gäste fotografieren konnte:
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Verena Lenz schaut nach dem Rechten
| | Peter Kotterba und Frau Kotterba
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Auch Verena Lenz gehört zur Hessentagsverwaltungsriege, denn sie ist die Hessentagsbeauftragte. Also sie wäre eigentlich diejenige, die so gucken müsste wie Soraya Rein andauernd. Sie hatte inzwischen Wind bekommen von meinen täglichen Beobachtungen, entweder durch gewiefte Kontakte, oder sie hat meine Mail gelesen, in der ich auf mich hinweise.
Die Familie Kotterba ist schon lange mit meiner persönlichen Geschichte Langenselbolds verbunden: Erstens bin ich neben dem Kino der Kotterbas aufgewachsen, was mein Verhältnis zur Realität und ihrer Wahrnehmung nachhaltig gestört, äh, geprägt hat. Zweitens stiftet die Firma Kotterba jede Menge Gedöns wie Parkbänke, Weihnachtsbeleuchtungen und Sportmannschaftstrikots. Und drittens durfte ich nie mitspielen, wenn die größeren Jungs sich getroffen haben.
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Ehepaar Mielitz hat Spaß
| | Pfarrer Fredy Henning macht Spaß
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Dann treffe ich Pfarrer Henning und will ihn ablichten. Aber erstens dreht er sich um und tanzt. Dadurch verwackelt mein Bild. Zweitens reflektiert sein Logo meinen Blitz. Dadurch verwischt das Bild. Und drittens verdeckt er mit dieser Eskapade seine Frau, dadurch verliert mein Bild seine eigentliche optische Berechtigung.
Gut, dass wir den an die Rodenbacher losgeworden sind.
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Die Urbans und die Keils
| | Karin Wallpott und Frank Steinhauser
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Auch Dr. Manfred Keil nebst Frau und Freunden sieht man. Dr. Keil ist die Institution für die Erforschung und Verankerung des Langenselbolder Dialektes im kulturellen Bewusstsein der Bevölkerung. Und dabei gibt es Menschen, die sehr hart daran arbeiten, diesen Dialekt loszuwerden.
Frank Steinhauser ist mithin der einzige Spross der Lehrerdynastie Steinhauser, der kein Lehrer wurde, sondern etwas Anständiges gelernt hat. Der Goldschmied und seine Frau Karin Wallpott wollen endlich mal beim Trinken fotografiert werden.
Sogar Lehrerinnen-Urgestein Frau Kickelhahn war da und bot mir die andere Hälfte ihrer Helen-Schneider-Karte an. Die hatte schon meine Mutter unterrichtet! Also Frau Kickelhahn, nicht Helen Schneider.
Im weiteren Umherstreifen treffe ich Martin Bieberle.
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| | CSU-Vorstand |
Herr Bieberle fragt, ob ich skurrile Leute fotografiere und hält in einem kurzen Moment der Selbsterkenntnis für eine Sekunde still.
Und so endet auch meine Hessentagshalbzeit am Tag Fünf im Jahre des Jackson, wie unser Bürgermeister in liebevoller Bürgertrunkenheit schon vor seiner Gebürgermeisterburt genannt wurde.
Ich reiche noch ein Foto vom Wohngebiet Häusergraben / Mühlwiese dar...
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Da! Ich habe eine Million freie Parkplätze gefunden!
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...und zum Abschluss und abwechslungshalber ein Foto von einer Straße, in der so rein überhaupt nix los ist:
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Die Wingertstraße in der Dämmerung ist meine persönliche Lichterkirche für den Heimweg.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Mittwoch.
Falls Sie Elbo treffen, drücken Sie ihn, denn womöglich findet in seinem Inneren eine Geburtstagsparty statt.
Ich gratuliere jedenfalls herzlich!
Und wehe, Sie kommen zur Lesung von Hera Lind.
Bis heute oder morgen hier oder vor Ort,
Ihr
Matthias Mayer
Kontakt
Homepage Hessentag 2009 Langenselbold
Matthias Mayers kommentiertes Hessentagsfototagebuch
Tag Eins: Freitag, 5. Juni
Tag Zwei: Samstag, 6. Juni
Tag Drei: Sonntag, 7. Juni
Tag Vier: Montag, 8. Juni
Tag Fünf: Dienstag, 9. Juni
Tag Sechs: Mittwoch, 10. Juni
Tag Sieben: Donnerstag, 11. Juni
Tag Acht: Freitag, 12. Juni
103 Meter über Langenselbold
Tag Neun: Samstag, 13. Juni
Tag Zehn: Sonntag, 14. Juni
Tag Elf: Montag, 15. Juni
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